Sonntag, 9. Februar 2014

Poetischer Selbstversuch II: Predigt über 2Petr 1,16-21

Und nochmal ging es mit den Gedanken zur homiletischen Verwertbarkeit des Phänomens Poetry Slam auf die Kanzel. Diesmal sind ein paar Grundentscheidungen anders ausgefallen, die Predigt ist bewusst in mehrere Texte zerlegt, die durch kurze Anmoderationen und musikalische Impulse deutlich voneinander unterschieden sind. Im Grunde also der Versuch, eine kleine Slam-Session mit einer Person nachzuspielen. Ob mich diese Variante überzeugt hat, kann ich noch nicht genau sagen, aber sie hat zu einigen Überlegungen geführt, die ich in den nächsten Tagen auch hier noch öffentlich anstellen werde. Jetzt geht es aber erstmal ab nach Düsseldorf zum PreacherSlam - darüber wird hier sicher auch noch das eine oder andere zu lesen sein. Jetzt erstmal viel Spaß beim Angepredigtwerden!

 

Beim Poetry Slam beginnt es oft mit dem Satz: Ich habe einen Text mitgebracht. 
Das muss nach den Regeln immer ein eigener sein. 
Bei einer Predigt ist es anders, auch bei einer Predigt, die sich inspirieren lässt von den Dichtern und Kämpfern, die in den Discos und Kneipen und auf den Bühnen um die richtigen Worte ringen. 
Ich habe mehrere Texte mitgebracht, und der erste ist nicht mein eigener. Gott sei Dank. Denn für mich ist es wichtig, dass wir im Gottesdienst auch Worten begegnen, die nicht unsere eigenen sind. Der Text steht in der Bibel, und ich habe ihn mitgebracht, weil er heute dran ist, aber auch, weil ich ihn in der letzten Woche liebgewonnen habe und glaube, dass da Wichtiges drinsteht. Geschrieben hat ihn jemand, der sich Petrus nennt, und wer vorhin bei der Lesung aufgepasst hat, erkennt, worauf er sich bezieht. 

0. DER BIBELTEXT


Denn wir haben uns nicht etwa auf klug ausgedachte Geschichten gestützt, als wir euch ankündigten, dass Jesus Christus, unser Herr, wiederkommen und seine Macht offenbaren wird. Nein, wir haben seine majestätische Größe mit eigenen Augen gesehen. Wir waren nämlich dabei, als er von Gott, dem Vater, geehrt wurde und in himmlischem Glanz erschien; wir waren dabei, als die Stimme der höchsten Majestät zu ihm sprach und Folgendes verkündete: »Dies ist mein geliebter Sohn; an ihm habe ich Freude.« Wir selbst haben die Stimme gehört, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren – diese Stimme, die vom Himmel kam. Darüber hinaus haben wir die Botschaft der Propheten, die durch und durch zuverlässig ist. Ihr tut gut daran, euch an sie zu halten, denn sie ist wie eine Lampe, die an einem dunklen Ort scheint. Haltet euch an diese Botschaft, bis der Tag anbricht und das Licht des Morgensterns es in euren Herzen hell werden lässt.  
 

1. ZU SPÄT GEBOREN?


Ich hätte in Woodstock gern im Matsch gespielt, 
gesoffen, geschwoft und die Freiheit gefühlt. 
Als in Berlin die Mauer fiel, 
war ich sieben, 
bin deshalb in Köln und im Bett geblieben. 
Das Wunder von Bern, 
das hätte ich gern 
selbst gesehn, doch das liegt mir zu fern, 
genau wie der Welt erster Weihnachtsstern. 
Mit Elvis hätt ich gerne Pizza gegessen, 
bei Bach unter der Leipziger Orgel gesessen, 
doch die waren schon tot 
lang vor meiner Geburt, 
das wird halt nichts mehr, 
es ist zu lang her. 
Luthers fünfundneunzig Thesen 
hab ich erst an der Uni gelesen, 
überhaupt: Reformation, Revolution, 
das war alles schon lang vor meiner Zeit 
oder weit weg, viel zu weit. 
Ach, wat wor dat fröher schön, doch in Colonia, 
singt Ostermanns Willi, und ich so: Haha, 
kann sein, ich hab keine Ahnung, ich habs nicht gesehn, 
konnte vor so vielen Bühnen nie stehn. 
Beim Londoner LiveAid-Konzert war ich drei, 
ich war, kurz gesagt, nie dabei, 
hab niemals gejubelt in so einer Nacht, 
von der man später dann sagt: 
Hier wurde Geschichte gemacht. 

Und wenn sie erlauben, 
dann stell ich die Frage – 
Wie soll ich das glauben, 
wenn andere sagen: 
Mensch, als ich da saß, 
das war echt der Hammer, 
dass Du da nicht bei warst-
was für ein Jammer.  

2. MORGENGRAUEN

Am Morgen eines allzu früh begonnenen Tages stehe ich im unanständig hell ausgeleuchteten Badezimmer. Die Bestandsaufnahme ist ernüchternd, beim Blick in den Spiegel glotzt mich halb ungläubig, halb angewidert ein Gesicht an, das ich nur ungern als das meine anerkenne. Morgengrauen. In Klammern: Es ist mir unbegreiflich, warum manche Menschen ausgerechnet von „Herrgottsfrühe“ meinen sprechen zu müssen, wenn sie diese Unzeit meinen, irgendwo zwischen sechs und sieben, an der sich der Tag noch nicht entschieden hab, ob er so richtig beschissen wird oder einfach nur blöd. Das Gegenteil ist der Fall, verständige Zeitgenossen sprechen deshalb mit Recht von einer unchristlichen Uhrzeit. Aber zurück zu mir. Au weia. Das Gesicht ist pansig und bleich, die Augen zugequollen, und dass ich mir nur die Haare kurz schneiden und eine Armeejacke anziehen müsste, um an Karneval als nordkoreanischer Nachwuchsdiktator zu gehen, ist nur ein schwacher Trost an diesem Morgen. Mein Blick wandert runter zur Leibesmitte, das bisschen Restlaune verabschiedet sich in den Keller, denn auch der Bauch würde gut zu diesem Kostüm passen und müsste gar nicht groß ausgestopft werden. In der Ausbildung hat man uns gesagt, wir sollten lernen, nein zu sagen – mir ist erst später aufgefallen, dass sie dabei vor allem an Geburtstagsbesuche bei älteren Damen dachten, bei denen man das vierte und auch das fünfte Stück Kuchen angeboten bekommt. Oder an Sitzungen, bei denen man sich fest vorgenommen hat, mal nicht so viel zu reden, bei denen aber nur Chips, Salzstangen, Plätzchen und andere Kalorienbomben bereit stehen, um die Futterluke ersatzweise zu beschäftigen. Ich taste nach einem Zettel auf dem Waschbeckenrand. Darauf stehen Sätze. Ich hole tief Luft, auch das macht sich im Spiegel nicht so gut. „Wow, siehst du heute gut aus!“ sage ich laut. Mein Gegenüber starrt mich ungläubig an. Ich versuche ein Lächeln. Als ich das desaströse Ergebnis im Spiegel sehe, lasse ich das besser bleiben. Nächster Satz: „Du bist ein ganz toller Mensch!“ Das Gesicht im Spiegel ein einziges Fragezeichen – von wem redet der?! Noch ein Versuch: „Heute wird ein wunderbarer Tag.“ Die Wirkung, die auch dieser Satz auf mein zerknautschtes Spiegelbild hat, kann man sich denken. Die Sätze habe ich aus dem Internet, die Seite gehört einem Motivationstrainer und Coach, der mir verspricht, wie sich in meinem Leben alles zum Guten wendet, wenn ich nur seinem Zehn-Punkte-Programm folge. Diese Sätze waren nur Teil einer kostenlosen Vorschau, für eine richtige Wirkung hätte ich mir wahrscheinlich das ganze Programm für nur 69,99 EUR runterladen müssen. Ich lasse den Zettel sinken und den Kopf und die Laune. Das Projekt Selbstmotivation erkläre ich für gescheitert, weil ich mir die ganzen Sätze, die ich mir selber sagen soll, selbst nicht glauben kann, nicht mit dem Blick, nicht um diese Zeit. Ich schlurfe in die Dusche, da ist es warm, und ich lasse mich in Ruhe. Früh am Morgen ist das besser so.   

3. WORTE, DIE IN MEINEM HERZEN EINEN STERN AUFGEHEN LASSEN.

Es gibt Worte, die in meinem Herzen einen Stern aufgehen lassen. 
Worte, die, ohne dass ich’s selber fassen 
könnte meine Kreise störn. 
Und die Staubwolken, die Kondensstreifen, die Windschatten durchkreuzen, 
die ich hinter mir herziehe, 
wenn ich renne, rase, stolper, fliehe, 
Während ich versuche, meinen Marktwert zu erhöhn, 
im Fitnessclub fluche und beim Kalorienzähln, 
Während ich ständig mich selbst optimiere, 
mich sorgfältig, sorgsam, sorgenvoll geniere, 
um nicht den Ruf zu ruinieren, 
den Credit zu verlieren, 
den ich mir mühsam erkaufe, ersaufe, ertausche, 
mit den richtigen Likes, dem richtigen Style, 
den richtigen Fotos mit den richtigen Leuten, 
Pickel und Narben und Wunden kaschiere, 
mich mit Selbstbräuner beschmiere, 
um nur noch Schokoladenseiten zu haben. 
Und renne und laufe von morgens bis abends, 
um der Erste zu sein, um der Beste zu sein… 
Und renne und laufe von morgens bis abends, 
und renne und laufe von morgens bis abends. 

Und dann gibt es Worte, die, wenn ich sie hör, 
auf heilsame Weise ganz leise mein Kreisen störn, 
mich aus meiner Spur heben, mir Raum geben, 
mich atmen lassen und ahnen lassen, 
dass der Himmel bewohnt 
ist, dass Hoffnung sich lohnt 
und dass mein eigener Horizont 
noch lange nicht die letzte Grenze ist. 
Worte, die in meinem Herzen einen Stern aufgehen lassen, 
die mich tief berührn und die mich verführn 
in den Himmel zu schauen und zu spürn, 
dass in mir ein Licht wohnt, 
das ich selbst nicht angezündet habe. 
Worte, die andere Menschen mir sagen, 
die mit mir mein Suchen und Fragen ertragen – 
oder es lang vor mir schon getan haben. 
Ein Echo aus alten Geschichten, 
die sich aus dem Staub aufrichten, 
sich erheben, mich mitnehmen, 
hineinziehen in ein Geschehn, 
für das ich eigentlich zu spät geboren bin, 
ich will noch sagen: Ich war nicht dabei, 
und merke, ich bin schon mittendrin, 
und beginne zu begreifen, 
was sie meinen, wenn sie sagen, 
dass jeder, 
der den Zeugen hört 
selbst auch zum Zeugen wird. 

X. NOCHMAL: DER BIBELTEXT


Denn wir haben uns nicht etwa auf klug ausgedachte Geschichten gestützt, als wir euch ankündigten, dass Jesus Christus, unser Herr, wiederkommen und seine Macht offenbaren wird. Nein, wir haben seine majestätische Größe mit eigenen Augen gesehen. Wir waren nämlich dabei, als er von Gott, dem Vater, geehrt wurde und in himmlischem Glanz erschien; wir waren dabei, als die Stimme der höchsten Majestät zu ihm sprach und Folgendes verkündete: »Dies ist mein geliebter Sohn; an ihm habe ich Freude.« Wir selbst haben die Stimme gehört, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren – diese Stimme, die vom Himmel kam. Darüber hinaus haben wir die Botschaft der Propheten, die durch und durch zuverlässig ist. Ihr tut gut daran, euch an sie zu halten, denn sie ist wie eine Lampe, die an einem dunklen Ort scheint. Haltet euch an diese Botschaft, bis der Tag anbricht und das Licht des Morgensterns es in euren Herzen hell werden lässt.  
Amen.

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