Dienstag, 18. März 2014

Aus dem liturgischen Labor - Gedanken zum Spoken-Word-Gottesdienst

Die Idee, einen Gottesdienst mit Elementen aus der Welt von Spoken Word, Open Mic und Slam Poetry zu veranstalten, hat viele Väter und Mütter, ist entstanden aus einem etwas chaotischen, aber irgendwie auch inspirierenden Mischmasch aus den Entwicklungen in der Predigt- und Gottesdienstforschung, eigenen Wünschen und Bedürfnissen und Erfahrungen. Deswegen hier schonmal ein paar Gedanken zum Projekt - wie tragfähig das ist, wird sich am nächsten Sonntag herausstellen!

Plakatentwürfe...
 

"KRISE DER PREDIGT" UND DER GOTTESDIENSTE "IM ZWEITEN PROGRAMM"?

Von einer Krise der Predigt zu sprechen, ist nicht neu. Blättert man sich durch die homiletische Literatur, kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, „das Schiff, das sich Gemeinde nennt“, habe sich in den letzten 500 Jahren fast ununterbrochen und nur durch einige herausragende Kapitäne, Steuermänner und Schiffsausrufer vom endgültigen Stillstand bewahrt durch einen morastigen Sumpf aus schlechten Predigten gepflügt.

Bezog sich die Kritik über Jahrhunderte vor allem auf vermeintlich fehlende, unzureichende oder schlichtweg falsche theologisch-geistliche Inhalte, so steht in der jüngeren Vergangenheit zunehmend auch die Form der Kanzelrede im Fokus der Kritik, bis hin zur grundlegenden Infragestellung an das Genre des monologischen Vortrags, wie sie etwa Christopher von Lowtzow vorgetragen hat und die neben der ekklesiologischen Problematik einer Monopolisierung der Verkündigung auch veränderte Wahrnehmungsgewohnheiten und Anforderungen der Menschen im Medienzeitalter im Blick hat. Kurz gesagt: Eine viertelstündige Rede ohne jegliche Medienunterstützung ist youtube-verwöhnten User_innen nicht mehr zumutbar - außerdem widerspricht es dem Priestertum aller Gläubigen. 

Skeptischen Abgesängen auf die Redeform des Monologs halten andere (etwa Volker A. Lehnert) zu Recht die Erfolge von Comedians und Kabarettisten entgegen. Stehen diese vor allem für den unterhaltenden Aspekt öffentlicher Rede, so kommt seit der Jahrtausendwende eine vielfältige und sich einer stilistischen Zusammenfassung weitgehend entziehende Kunstform in den Blick, die neben dem delectare (Unterhalten) auch das movere (Bewegen) stark macht: Die Spoken Word-Bewegung und ihre in Deutschland derzeit populärste Erscheinungsform des Poetry Slam. Wikipedia schreibt Hochinteressantes dazu:
“Spoken word is a performance artistic poem that is word-basic. It often includes collaboration and experimentation with other art forms such as music, theater, and dance. However, spoken word usually tends to focus on the words themselves, the dynamics of tone, gestures, facial expressions, and not so much on the other art forms. In entertainment, spoken-word performances generally consist of storytelling or poetry […]. Since its inception, the spoken word has been an outlet for people to release their views outside the academic and institutional domains of the university and academic or small press. The spoken word and its most popular offshoot, slam poetry, evolved into the present-day soap-box for people, especially younger ones, to express their views, emotions, life experiences or information to audiences. The views of spoken-word artists encompass frank commentary on religion, politics, sex and gender, often taboo subjects in society.” 
Michael Herbst postulierte jüngst, das Potenzial der vielerorts seit den 1990erjahren etablierten und sich häufig an der in Willow Creek praktizierten Form der Seeker Services orientierten Gottesdienste „im zweiten Programm“ sei ausgeschöpft: 

„Ehrenamtliche Mitarbeiter sind erschöpft, da alternative Gottesdienste besonders arbeitsintensiv sind. Ferner gerät der Charakter der Veranstaltung als Gottesdienst ins Wanken. Die Teilnehmer sind häufig eher „Publikum“ und zu wenig „Gemeinde“; die Beteiligung ist entsprechend schwach. Außerdem haben Nicht-Christen keine schlechten Erfahrungen mit der Kirche, sondern gar keine Erfahrung. Sie sind neugierig zu erfahren, was und wie Christen ihre „richtigen“ Gemeinde-Gottesdienste feiern.“ 
(zit. n. Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 05/2014)
Gleichzeitig scheint sich ein gegenläufiger, die mittlerweile traditionellen "Zweites-Programm"-Gottesdienste mit ihrer oft sehr spezifischen Ästhetik ergänzender Trend abzuzeichnen, den man als "Retro-" oder "Vintage-Spiritualität" bezeichnen könnte: Traditionelle, oft hochliturgisch inspirierte Formen christlicher Spiritualität werden neu entdeckt und als bewusste Pausen vom Alltagsleben inszeniert. Das können Exerzitien und Stundengebete, lutherische Messfeiern (besonders erfolgreich etwa bei Nadia Bolz-Weber in Denver/Colorado) oder die Tradition des anglikanischen Even Songs sein. Ich frage mich, ob nicht auch die reformierte Tradition hier Anknüpfungspunkte bietet, wenn man, etwas hemdsärmelig vielleicht, die Reduktion liturgischer Elemente, den starken Fokus auf das Wort und ein hohes Maß an laikaler Mitwirkung als "typisch reformierte" Akzente sieht.

Bild: reformiert-info.de

Preacher Slam, poetische Predigten und ermutigendes Feedback


Wer regelmäßig in den Kirchengeschichten liest, hat es ja mitbekommen, dass das Thema Poetry Slam mich, u.a. in Vorbereitung auf den Preacher Slam in Düsseldorf, vor einiger Zeit ausführlichst beschäftigt hat, auch beim Predigen. Was mich, bei allem Spaß an der eigenen Fabuliererei, sehr bewegt hat, waren die Rückmeldungen: Von Kolleg_innen, die schrieben, sie hätten ganz neue Lust am Formulieren bekommen. Oder von Freunden und Verwandten, die plötzlich von eigenen (mir bis dato gänzlich unbekannten) schreiberischen Ambitionen erzählten, ihre eigenen poetischen Gehversuche mitteilten. Mich lehrt das: Das Format ist offenbar geeignet, auch bei den Zuhörenden kreatives Potenzial freizusetzen. Und das triggert mich doch ungemein, gerade im Blick auf die Frage nach dem Priestertum aller Glaubenden.

Was mich bei den Poetry Slams, die ich erlebt habe, sehr begeistert hat, ist die Vielfalt der Texte. Es ist sicherlich so, dass die humorvollen, stand-up-inspirierten Beiträge deutlich überwiegen - das wird auch am Kalkül liegen, denn mit Lustigem lässt sich meist am Einfachsten ein Kontakt zum Publikum herstellen, der dann zu mehr Punkten in der Wertung führt (davon bin ich selbst beim Preacher Slam ja auch ausgegangen). Aber es ist trotzdem Raum für andere Themen und Genres - da gibt es Wütend-Sozialkritisches, zum Teil auch Dramatisch-Autobiografisches (im letzten Beispiel wird die Grenze zwischen "persönlich" und "privat" für meinen Geschmack zu weit überschritten - aber das Format verträgt auch das offensichtlich). Auch das vielleicht bekannteste Poetry-Slam-Video von Julia Engelmann, das in den letzten Monaten Menschen aller Altersklassen bewegt hat, ist ja durchaus nachdenklich-kritisch. 

Das Feld möglicher Themen und Genres ist also, auch wenn sich sicherlich Schwerpunkte in der inhaltlichen Auswahl und Stilbildungen in der Performance abzeichnen (eine jugendliche Teamerin aus der Gemeinde fragte neulich: "Poetry Slam... ist das das mit der Schnappatmung?"), äußerst weit. Auch das halte ich für eine viel versprechende Voraussetzung. Beim eigenen Experimentieren mit Predigten und Slam Poetry ist mir außerdem aufgefallen, dass es außer den klassisch-traditionell orientierten Gemeindegliedern, die alternativen Predigtstilen (dazu gehören auch narrative und/oder am Konzept der dramaturgischen Homiletik orientierte Texte) eher skeptisch gegenüberstehen, auch solche gibt, die eine sehr hohe Toleranzschwelle und überhaupt keine Schwierigkeiten haben, etwa die Beiträge vom Preacher Slam als Predigten zu akzeptieren. 

Für den ersten Gottesdienst wurden speziell Leute angesprochen, darunter junge Theolog_innen und kirchenaffine Aktive aus der Poetry-Slam-Szene. Mein Traum wäre, dass sich bei einer Fortsetzung auch andere Menschen aus dem Umfeld der (Gottesdienst-)Gemeinde finden, die eigene Texte schreiben und performen, möglicherweise unterstützt durch spezielle Workshops. So könnte sich mittel- oder längerfristig die Verkündigung pluralisieren - das Potenzial ist höchstwahrscheinlich da!

Nach langem Hin und Her haben wir uns übrigens gegen den Slam-Charakter entschieden (das machte die Suche nach einem Etikett so schwierig...), das heißt, die Performenden treten nicht gegeneinander an - das erschien dem gottesdienstlichen Charakter dann doch irgendwie unangemessen. Die Leute sollen und dürfen ruhig klatschen; wenn Applaus im Gottesdienst auch unter manchen Kolleg_innen geradezu verfehmt ist, kann man darin auch den legitimen Wunsch nach einer Feedbackmöglichkeit oder einem Kommentar zum Gehörten verstehen - genauso, wie ja bekanntlich das "Amen" der Predigt auch Sache der Gemeinde ist.

DER GOTTESDIENST DRUMHERUM


Wenn der Fokus auf dem gesprochenen Wort liegt, dann bietet es sich an, den liturgischen Rahmen zu reduzieren. Nicht im Sinne einer Abwertung, sondern als Reduktion im Dienste der Klarheit und Konzentration auf Wesentliches. Das kommt mir persönlich entgegen, weil ich zunehmend nach "einfachen" Gottesdienstformen für mich suche, die gerade im Verzicht auf großes Brimborium die Partizipationsschwelle senken. Dass mir Hochliturgisches nicht liegt, dürfte regelmäßige Leser_innen nicht überraschen. Mir haben aber auch die o.g. Gedanken von Michael Herbst unmittelbar eingeleuchtet, weil die Gottesdienste aus dem "zweiten Programm" im Stil der Willow-Creek-Services, bei denen ich immer ausgesprochen gern mitgearbeitet habe, äußerst ressourcenintensive Events sind: Da braucht man eine Band. Dafür wiederum eine möglichst avancierte Musikanlage. Anspiele wollen geschrieben und aufgeführt werden, für meditative Aktionen und give aways muss gebastelt werden. Und so weiter. Das hat natürlich was, weil so sehr viele Menschen am Gottesdienst aktiv beteiligt werden können. Aber es ist eben nicht immer und überall machbar.

Wenn man sich zudem an der Ästhetik von Poetry-Slams orientiert, ergeben sich einige denkbare Eckpunkte: Klavier (vielleicht mit Schlagzeug) statt Orgel. Beleuchtungsakzente, die den Kirchenraum buchstäblich in anderem Licht erscheinen lassen. Eine aufgelockerte Sitzordnung. Und eine ausgewogene Mischung aus professioneller liturgischer Moderation (d.h. ohne übertriebenes Pädagogisieren) und gemeinsam gesprochenen Texten, die nicht unbedingt die Sprache der Lutherbibel atmen müssen, aber dennoch das Potenzial haben, geprägte Wendungen zu werden und damit einen Wiedererkennungswert zu erhalten und in Gebrauch genommen zu werden. Vielleicht auch, als Gegengewicht zur Wortlastigkeit des Mittelteils, eine Zeit der Stille. 

Soweit erstmal meine Überlegungen. Ich bin vor Sonntag extremst freudig-gespannt - und freue mich sehr über lautes Mitdenken von Interessierten! So long...

Und wer in der Nähe ist und live dabeisein will: Am Sonntag um 18 Uhr findet das Ganze statt, und zwar in der Christuskirche Köln-Dellbrück. Mehr Infos gibt es demnächst auf der Homepage der Gemeinde oder schon jetzt bei Facebook


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