Mittwoch, 28. Mai 2014

Predigt-Slam in Wittenberg



In aller Kürze die wichtigsten Erkenntnisse vom Predigt-Slam in Wittenberg:

- Es gibt grandiose Kolleginnen und Kollegen aus allen Teilen der Republik. Und das Tollste: Von ganz vielen kann man auch im Internet lesen (zum Beispiel hier, hier und hier)! Allein deswegen hat es sich gelohnt, in die Lutherstadt (s.u.) zu fahren.

- Fortbildungen zusammen mit Theologiestudierenden machen großen Spaß und vermitteln einem das Gefühl (bzw. bei mir bestätigen sie Erfahrungen von der eigenen Arbeit an der Hochschule), dass da eine Generation von Theologinnen und Theologen heranwächst, für die wir dankbar sein können - und die wir hegen und pflegen sollten...

- Das Zentrum für evangelische Predigtkultur liegt in Wittenberg und somit aus rheinischer Sicht so ziemlich am anderen Ende der Welt. Und die Fahrt dorthin zieht sich, zumal mit dem Auto. Aber: Die Menschen, die dort arbeiten, sind absolute Profis. Nicht nur darin, dass sie das, was sie lehren, selbst richtig gut können. Sondern auch und vor allem darin, dass sie andere dazu bringen, über sich hinauszuwachsen und die Leidenschaft fürs Predigen wachzuhalten.
- Wer wissen will, wie's geht, sollte Bo Wimmer kennen!
- Eine Jury, die zum großen Teil aus Theolog_innen besteht, lässt sich schwerer mitreißen als ein "normales" Publikum. Vielleicht ist das normal und unvermeidlich, who knows. Der nachstehende Text, bei betreuten Schreibübungen und auf vielen Spaziergängen durch Wittenberg (und in Teilen knapp eine Minute vor Slambeginn) entstanden, hat es dann immerhin auf 27 Punkte gebracht und vor allem deswegen gewonnen, weil einige andere Texte unverdient wenige Punkte bekommen haben. 







DIE LÄNGST FÄLLIGE ENTSCHULDIGUNG EINES BERUFSSTANDS AN EINE STADT


Andere Städte haben Stadtplaner, Bürgermeister und Architekten,
die ihre Stadt planen, ihre Bürger meistern und ihre Schätze entdecken und Potenziale checken.
Bei Dir ist das anders, deine Gestalter
sind theologische Nachlassverwalter.
Amsterdam ist das Mekka bezahlter Avancen,
New York das Versprechen unendlicher Chancen,
Stockholm das Sinnbild ethischer Tugend,
Rio die Hoffnung auf ewige Jugend –
und Du? Der feuchte Traum eines Kirchengeschichtlers!

So rufe ich mit der Christenheit:
Alle: Wittenberg, es tut mir leid!

Mekka zieht Pilgermassen an,
Köln hat mehr Fans, als das Stadion fassen kann,
Mallorca hat Früh-, Mittel- und Last-Minute-Bucher,
nach Asien ziehen in FlipFlops die ernsthaften Sinnsucher,
nach Las Vegas die Jäger und Sammler und Spieler,
nach Venedig die Liebenden, Träumer und Fühler.
Und Du? Zu dir kommen auf Studienreisen
ergraute Menschen aus Kirchenkreisen! 

So rufe ich mit der Christenheit:
Alle: Wittenberg, es tut mir leid!

Dann kommt ihr gelaufen,
ich soll euer Kind taufen
und weil wir in Wittenberg sind,
heißt das Kind
natürlich nicht anders als Martin Luther!
Oder Lukas Cranach der Allerjüngste.
Oder Kevin Bugenhagen.
Oder, ihr wisst schon, Melanchthon.
Und ich so: Momentchen, das ist ja ein Mädchen, die Arme,
und ihr so: Genau, ihr Name
sei „Martin Luther seine Frau“!

So rufe ich mit der Christenheit:
Alle: Wittenberg, es tut mir leid!

Und sagst Du: Ich bin so irritiert, konsterniert, inspiriert,
ich will mal ganz konzentriert, introvertiert,
einfach so in die Kirche gehn –
sag ich: Is‘ schlecht, echt, Pech,
die werden grad alle renoviert, restauriert,
von Bautrupps besetzt und in Stand gesetzt
für Zweitausendsiebzehn.

Dann werden sie kommen,
die zigtausend Frommen,
und euch wird der Platz und der Alltag genommen,
sie machen aus eurer Mutterstadt
die mottenkugelnde Lutherstadt.
Sie werden im gemäßigten Takt durch die Stadt rushen
und Lutherbrot naschen,
nach Andenken haschen,
die sie in ihren Jutetaschen verstauen,
die Flaschen
mit Lutherbier, Luthersaft,
Lutherstulle, Lutherfass, Luthermesser, Halbfettluther,
alles Luthersöhnchen von vor Lutherliebe strotzendern Luthertieren,
aus 2017 cm geöffnetem Luthermund
das alte Lied: „Ein feste Burg ist unser Gott!“
Unser Gott. Mein Gott. Dein Gott. Und. Mar-Gott.

Und so rufe ich mit der Christenheit:
Alle: Wittenberg, es tut mir leid!


1 Kommentar:

  1. Es gibt sie - die Momente, nach denen ich froh bin, neidisch sein zu können. Da vibriert das Herz zwischen den Mächten des Selbst-Haben-Wollen und Nein!-So-kannsts-nur-du!. Da wird die Fröhlichkeit geweckt. Vielen Dank für Neid und Trank.

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