Mittwoch, 15. Oktober 2014

Im Heiligen Land (I): Der hohe Norden

Es gibt so Dinge, die muss man als Pfarrer irgendwie gemacht haben, um dazuzugehören, um mitreden zu können. Dazu gehören eine richtig fette Panne bei einer Beerdigung, eine haarsträubend chaotisch verlaufene Prüfung im zweiten Examen, man sollte mindestens einen Band der KD gelesen haben - und einmal im Heiligen Land gewesen sein. Und vor ein paar Wochen war für mich endlich die Zeit, auch den letzten Punkt abzuhaken, alle Sorgen angesichts der politischen Lage über Bord zu werfen und Richtung Süden zu reisen, mit kaum mehr im Gepäck als einem Rückflugticket, ein paar vagen Vorstellungen und einem Skizzenblock. Ende September ging es los, und nach fast enttäuschend kurzen Sicherheitsroutinen an den Flughäfen in Düsseldorf und Tel Aviv saß ich schneller als erwartet im Abendzug nach Nahariyyah, wo mich die erste Station meiner Reise erwartete: 


"ZEICHEN FÜR DIE VÖLKER" IM NORDEN



"Kommt nach Israel und Palästina" - diesem Aufruf von Rainer Stuhlmann bin ich allzu gerne gefolgt und habe meine erste Woche in Nes Ammim verbracht, einer christlichen Siedlung, die seit 1960 besteht. Was Nes Ammim ist und will, lässt sich am besten mit eigenen Worten beschreiben; in einer 1982 überarbeiteten Fassung des konstitutiven Memorandums heißt es:
Nes Ammim ist eine christliche Siedlung im Staat Israel, gegründet von Christen aus verschiedene Ländern und Kirchen. Die Christen, die in und für Nes Ammim arbeiten, glauben an Jesus von Nazareth, als ihren Herrn. Sie haben erkannt: Es widerspricht Seinem Willen, dass die Christenheit jahrhundertelang das jüdische Volk, dem Er entstammt und in dessen Mitte Er lebte, als Gott verworfen behandelt und deshalb verfolgt hat. Darum treten sie dafür ein, daß Christen das jüdische Volk anders sehen lernen, als sie es bisher getan haben. 
Sie bezeugen in Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift:Gott hat sein Volk Israel nicht verstoßen; Sein Bund mit ihm besteht vort, Seine Verheißungen an Israel bleiben wirksam. Darum kann die Christenheit weder gegen noch ohne Israel, sondern nur mit Israel im Dienste Seiner Gerechtigkeit in der Welt handeln und in der gemeinsamen Erwartung der kommenden Gottesherrschaft leben. 
Nes Ammim will• dem jüdischen Volk in seinem Land begegnen und dort mit ihm leben und arbeiten;• dazu beitragen, daß Juden und Christen einander besser kennen und verstehen lernen und voneinander lernen;• das Gespräch zwischen Juden und Christen im Staat Israel fördern, wobei jeder die Identität des anderen achtet;• darum auf missionarische Aktivitäten praktisch und prinzipiell verzichten; 
dazu beitragen daß• die Christen das neue Verhältnis zu Israel verstehen und verwirklichen;• die Verkündigung der Kirche sichtbar macht, wer das jüdische Volk ist, welchen Sinn sein leben in dem von Gott seinen Vätern verheißenen  Land hat und was es für Leben, Denken und Handeln der Kirche bedeutet. 
Als Nachgeborener, der noch jünger ist als der Rheinische Synodalbeschluss zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden, kann ich nur ungefähr ermessen, wie zukunftsweisend die Grundlagen der Arbeit in Nes Ammim damals waren - ich kann aber einen etwas deutlicheren Eindruck davon haben, wie wichtig diese Art von theologisch fundierter Dialogarbeit zwischen Ethnien, Kulturen und Religionen ist. 




In Nes Ammim nehme ich an den gemeinsamen Mahlzeiten, und damit ein kleines bisschen auch an dem Leben dort. Die Umgangssprache bei Tisch ist Nes Ammimisch - so wird, scherzhaft in eigenen Publikationen, das mit zahlreichen Niederlandismen und Germanismen durchsetzte Simple English genannt, das sich überraschenderweise wie ein cantus firmus durch meinen gesamten Israelaufenthalt zieht: Am Ende werde ich weit weniger Ivrit als erhofft aufgeschnappt haben - dafür hat sich mein eingerostetes Niederländisch wieder etwas verflüssigt. Bei den Mahlzeiten kommt man auch leicht mit den Menschen in Kontakt, für die Nes Ammim für kurz oder lang Zuhause, Zwischenstation oder ein Stück Lebensgeschichte ist. Manche sind bereits in dritter Generation Teil dieses Projektes - während ihre Großeltern Rosen oder ihre Eltern Avocados gezüchtet haben, helfen sie nun im Hotelbetrieb mit und unterstützen vor Ort Begegnungen von Juden, Christen und Muslimen. Das Projekt wird gebraucht - von den Menschen vor Ort, die vor nicht allzu langer Zeit darum gebeten haben, nach grundlegenden Veränderungen in der Landwirtschaft und im Tourismus nach der zweiten Intifada Nes Ammim nicht aufzugeben. Und von den es unterstützenden christlichen Kirchen, die vom Judentum immer noch zu lernen haben. Und das Projekt braucht wiederum Unterstützung - das Angebot von vor ein paar Monaten gilt übrigens noch! 





Von Nes Ammim aus mache ich ein paar Ausflüge nach Akko und Haifa. Hier schaffe ich es leider nicht innerhalb der Öffnungszeiten zu den berühmten Gärten der Baha'i, einer noch recht jungen Religion, die sich aufgrund ihrer individualistischen, synkretistischen Grundstruktur steigender Beliebtheit erfreut, hier an der nördlichen Mittelmeerküste bedeutende Zentren unterhält, anderswo jedoch immer noch grausamen Verfolgungen und Repressalien unterworfen ist. Beim Anblick der symmetrisch angelegten und minutiös gepflegten Gartenanlagen beschleicht mich aber das Gefühl, dass das nicht unbedingt die Art von Glauben und Leben ist, der ich groß etwas abgewinnen könnte - ich denke da immer an den Fluxus-Künstler Nam June Paik: "When too perfect, lieber Gott böse". 



Außerdem gilt es ja, vor der eigenen Haustür zu kehren, und so mache ich mich von Nes Ammim aus auf einen etwas längeren Ausflug an den See Genezareth, an dessen Ufer eine ganze Menge von Erinnerungsorten des Christentums liegen, und um den herum viel Platz ist für allerlei Kurioses...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen