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Mittwoch, 20. September 2017

Wenn Du am Sonntag AfD wählen willst...

Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Text veröffentlichen soll. Weil ich der Meinung bin, dass die Botschaft der Bibel zwar immer und unmissverständlich auch politische Bedeutung hat, Pfarrerinnen und Pfarrer sich aber in Sachen Parteipolitik zurückhalten sollen. Ich könnte jetzt sagen, dass das hier private Äußerungen sind, aber das wäre irgendwie auch Quatsch - nichts, was ich als Pfarrer in der Öffentlichkeit sage, wird einfach so als Privatmeinung abgetan, ob ich dabei jetzt Talar oder Badehose trage. Aber ich glaube, dass wir vor einer Weggabelung stehen, wenn in Deutschland erstmals eine rechtsextreme Partei ins Parlament gewählt werden kann. In solchen Situationen blitzt etwas auf, das man in der Kirchengeschichte den status confessionis nennt: Ein Moment, in dem der Glaube zu Reden und Handeln und Stellungnahme zwingt, in dem Schweigen schuldig macht. 



Vielleicht überlegst Du, bei der nächsten Wahl, wenn Du überhaupt hingehst, die AfD zu wählen. Und - weißt Du was? Ich glaube, Du hast gute Gründe dafür, das zu wollen. Vielleicht bist Du angepisst von der Politik. Vielleicht hast Du das Gefühl, dass unser Land von Politikerinnen und Politikern geführt wird, die die Bodenhaftung verloren haben, die eigene Interessen verfolgen und sich nicht um Dich und deine Probleme kümmern. Ich glaube nicht, dass das so ist, zumindest nicht in der Regel. Aber ich kann verstehen, dass das Gefühl da ist und Dich wahnsinnig macht. Hey, ich fahre selber Diesel, habe bewusst ein Auto gekauft, das der Hersteller als besonders umweltfreundlich anpreist und frage mich jetzt, ob ich nächstes Jahr damit noch in die Innenstadt darf. Ich war in den letzten Jahren viel in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg unterwegs und habe Dörfer gesehen, in denen Geschäfte, Kirchen und ganze Straßen verrammelt und verlassen waren, bin Menschen begegnet, die von der Gesellschaft im Großen und Ganzen im Stich gelassen wurden. Auch von der Politik. Ich habe mit Menschen gesprochen, die in den Neunziger Jahren aus Russland oder Kasachstan hierher kamen und höchstens die kalte Schulter gezeigt bekommen haben und bis heute noch gezeigt bekommen. Und die jetzt das unglaubliche Engagement für die Geflüchteten aus Syrien mitbekommen und fragen: Wo wart Ihr damals? Wo seid Ihr jetzt? Ich freue mich, dass wir es dieses Mal besser hinbekommen haben, unsere Arme zu öffnen - und was Ihr erlebt habt, tut mir leid. Und ich sehe in unserem Stadtteil auch die Probleme, die es gibt. Die Schwierigkeiten, die Geflüchtete beim Einleben haben. Aber ich glaube nicht, dass wir das durch Verbote, Diskriminierung und dichte Grenzen lösen werden.

Ich habe auch keine Lösungen parat. Und das ist das einzige, was mich mit der AfD verbindet: Sie hat sie auch nicht. Sie tut so. Und sie tut das auf eine Art und Weise, die viele Leute anspricht, weil sie einfache Lösungen verspricht und auf die Leute zeigt, die angeblich schuld sind. Dabei scheut sie auch vor Lügen nicht zurück - überall in sozialen und sonstigen Medien findet Ihr gerade vor der Wahl Faktenchecks, die Aussagen von hochrangigen Parteivertretern sehr glaubhaft widerlegen. Ich weiß, dass es manchmal einfach ist, Lügen zu glauben, selbst wenn man sie als solche erkennt. Weil wir Menschen halt so ticken. Aber das ist das Blöde am Leben: Es ist nie einfach. Nie. Wer das Gegenteil behauptet, ist blind. Oder betrügt die Leute, die ihm zuhören. Schon deswegen sollte man vorsichtig sein, wenn die AfD sich als besonders "christlich" aufspielt, wenn auf Pegida- und sonstigen Demos Kreuze getragen werden. Jesus hat einmal gesagt: "Die Wahrheit wird euch freimachen" (Johannes 8,32). Die Wahrheit, so schmerzhaft und kompliziert und vernebelt sie manchmal ist. Und bestimmt haben auch in der Vergangenheit Politikerinnen und Politiker gelogen, bestimmt stehen in manchen Zeitungen Dinge, die nicht stimmen. Das ist aber kein Grund, das bei der AfD zu akzeptieren. Wenn sie alles besser machen will, sollte sie hier anfangen. Das tut sie aber nicht. 

Vielleicht hast Du das Gefühl: Wenigstens sagen die mal was! Auch das kann ich verstehen. Ja, es hat in unserer Gesellschaft, gerade in den Kreisen, in denen ich mich bewege, Tabus gegeben, Probleme, die man nicht beim Namen genannt hat. Vielleicht war das wichtig, weil die AfD zeigt, dass es schwierige Themen sind, bei denen man oft in brutalsten Populismus verfällt. Aber gerade in ihrer Anfangszeit hat die AfD auch zwischendurch mal richtige Fragen gestellt - ihre Antworten sind aber scheiße. Was die einfachen Lösungen angeht: Siehe oben. 

Vielleicht hast Du Vertrauen in die AfD, weil so viele Wirtschaftsprofessoren Mitglied sind. Oder eher früher mal waren. Vielleicht denkst Du deswegen: Früher hab ich für mein Geld viel mehr bekommen, und die müssen doch wissen, wie man das wieder ändern kann. Dann informier' Dich mal über die Vertreterinnen und Vertreter der AfD, wie viele von ihnen Unternehmen in den Sand gesetzt haben, wer alles vor Gericht steht wegen Betrug, Volksverhetzung und Körperverletzung. Es sind nicht alle, aber es sind erschreckend viele. Und überleg Dir, ob Du wirklich glaubst, dass sie es anders machen werden, wenn sie an der Macht sind. Nochmal Jesus: "Wer im Kleinen unzuverlässig ist, der ist auch im Großen unzuverlässig" (Lk 16,10).

Vielleicht bist Du schwul und hast Angst, dass Du mit deinem Freund nicht mehr Hand in Hand durch die Straßen gehen kannst, insbesondere dort nicht, wo viele Menschen aus anderen Kulturkreisen wohnen, die das nicht verstehen oder verstehen wollen. Auch das kann ich nachvollziehen. Rechte Parteien, von PRO-NRW bis zur AfD, haben auch diese Angst aufgegriffen und damit schwule Wähler geködert. Wenn Du mutig bist, probier mal ein Experiment: Schnapp Dir deinen Freund (wenn Du keinen hast, darf es auch ein anderer Angehöriger des gleichen Geschlechts sein), und dann geht zu einer AfD-Wahlveranstaltung. Und guck mal, wie es da mit der Toleranz aussieht. Wie gesagt, Du musst ein bisschen mutig sein. Oder wahnsinnig. Und denk dran: Das Verständnis, was Du von anderen für Dich einforderst, haben Generationen vor Dir hart erkämpft. Und andere können es von Dir genauso verlangen. 

Vielleicht hast Du die Schnauze voll vom ganzen Gerede über die Nazizeit und findest deshalb gut, was Alexander Gauland und Björn Höcke sagen. Dann frag Dich mal ernsthaft, ob Du in deinem Leben jemals dadurch Nachteile hattest. Oder ob deine Abneigung gegenüber dem Thema damit zusammenhängt, dass man Dich in der Schule damit bis zum Erbrechen genervt hat. Mir ging das so. Und ich kann auch nicht garantieren, dass ich das in den Zeiten, als ich an Schulen gearbeitet habe, besser rüberbringen konnte. Aber ein Teil meiner Familie kommt aus Schlesien (deswegen zähle ich in allen Statistiken als "Deutscher mit Migrationshintergrund"), ich hatte Verwandte in Auschwitz. Und glaub' mir: Die Leute wussten, was da abging. Alle. Und die allermeisten haben zugesehen. Am Ende hat das 80 Millionen Menschen das Leben gekostet. Zum Teil auch die, die dachten, sie wären aus dem Schneider. 

Vielleicht bist Du Christin oder Christ und denkst: Die schreiben sich das wenigstens auf die Fahnen. Das tun sie. Aber sie meinen es nicht ernst. Oder sie haben ein paar ganz entscheidende Dinge nicht verstanden. Das "christliche Abendland" zum Beispiel ist keine Erfindung von Jesus, sondern der Romantik und der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Die ersten Gemeinden kurz nach Jesu Tod waren auch deswegen so erfolgreich, weil sie erkannten, dass der Glaube Menschen über die Kulturgrenzen hinweg verbindet: "Es spielt keine Rolle mehr, ob Ihr Juden seid oder Griechen" (Galater 3,24). Und die größte Bedrohung für Christentum und Kirche geht nicht von "dem Islam" aus - im Gegenteil, bei uns in der Stadt erlebe ich es, dass gerade der Kontakt zu Muslimen Christen dabei hilft, über ihren Glauben zu sprechen. Die größte Bedrohung für Christentum und Kirche ist nicht eine andere Religion, sondern geht von denen aus, die sich zu einem Glauben bekennen, von dem sie nichts wissen, und dessen Schätze sie missbrauchen, um Wählerstimmen zu fischen. 

Ich weiß nicht, ob Du bis hierher gelesen hast. Wenn ja: Danke! Für deine Zeit, für deine Aufmerksamkeit. Bestimmt bist Du in ganz vielen Dingen nicht meiner Meinung, vielleicht stempelst Du mich jetzt als dämlichen Gutmenschen ab. Damit kann ich leben, Jesus hat ja mal gesagt, man soll auch noch die andere Backe hinhalten, wenn man eine Ohrfeige bekommt, und sei es mit Worten. Aber ich finde das Wort "Gutmensch" sehr okay - in der Bibel steht auch: "Gutes zu tun vergesst nicht" (Hebräer 13,16). Und ich vertraue lieber einmal zu viel, als dass ich meine Stimme einer Partei gebe, die dieses Land, unsere Kultur, unseren Sozialstaat, unser Grundgesetz und unseren Glauben verraten und vernichten will. In dieser Frage lässt mir mein Glaube keine Wahl. Lässt mir Jesus keine Wahl.

Wenn Du am Sonntag AfD wählen willst: Bitte, tu es nicht. Sei weiter wütend, wenn Du Grund dazu hast, aber mach was Positives draus. Und denk immer dran: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe - und der Besonnenheit. 

Und wenn Du Dich am Sonntag für die AfD in ein Amt wählen lassen willst: Tu Buße. Und kehr um. Es gibt Ausstiegshilfen, und es gibt Kirchen und Gemeinden, die Dich mit offenen Armen empfangen werden. Und im Himmel ist die Freude über einen Verlorenen, der zurückfindet, sowieso größer als über 100 Gutmenschen. 

Gottes Segen Dir.

3 Kommentare:

  1. Guten Tag!
    Ganz toller Text! Ich scheue mich allerdings, ihn bei FB zu teilen, da Autor*in sich für mich nicht zu erkennen gibt.... kann man/frau da was dran ändern?
    Liebe Grüße!

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    1. Danke für die Rückmeldung!
      Es gibt ein Impressum, auch sonst macht das Internet kein großes Geheimnis draus.
      LG

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  2. Eine gute, einfühlsame und sachorientierte Argumentation. Für mich ist die Ablehnung der AfD aus christlicher Sicht viel einfacher:
    a) sachlich: Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit passen nicht zum Christentum. Das Christentum ist von Anfang an eine internationale Bewegung. Jeder ist angenommen, gerade auch der Fremde.
    b) emotional: Die AfD hat einen breiten braunen Rand, von dem sie sich nicht trennen kann und wohl auch nicht will. In den letzten zwei Jahren hat sich das immer deutlicher gezeigt. Mir ist das widerwärtig und ich kann überhaupt nicht verstehen, wie man so etwas wählen kann, selbst wenn man manchen AfD-Positionen zustimmt.

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