Donnerstag, 26. Januar 2017

Die Letzte macht das Internet aus.

Irgendwann im Vikariat schlug ich einmal vor, eine Gemeindeveranstaltung bei Facebook zu bewerben. Und alle um mich herum rangen die Hände, schüttelten die Köpfe, und irgendjemand sprach ein Machtwort: "Nein, da kommen nachher tausend Menschen!" Es war die Zeit, als durch die Printmedien Geschichten von privaten Geburtstagsfeiern gingen, die, über Facebook beworben, aus dem Ruder liefen. Abgesehen davon, dass sich hier beispielhaft eine tief verwurzelte Angst der Kerngemeinde vor zu vielen fremden Leuten zeigt, macht es deutlich, woher das in Resten noch vorhandene protestantische Kernmilieu, also der traditionellere Teil der Großelterngeneration der Digital Natives, soziale Medien kennt: Vom Hörensagen. 

Ganz anders Margot Käßmann: In einer jüngst erschienenen Zeitzeichen-Kolumne, in der es eigentlich um anderes geht, rantet sie in ihrer üblichen und eigentlich gar nicht so unsympathischen Manier los: "Heute erzählen Menschen alles über sich. Bei Facebook posten sie unablässig, wo sie sind, wen sie treffen, was sie denken, was sie essen." Abgesehen davon, dass unbedachte Pauschalisierungen ("heute" im Gegensatz zu einem glorifizierten "Früher", "Menschen", "alles", "unablässig") mit Vorsicht zu genießen sind, irritiert ihr Bekenntnis, woher sie dieses Wissen hat. In einem Artikel, in dem es um "geschützte Räume", Beichte und Seelsorge geht, gesteht sie freimütig: "Ganz zu Beginn habe ich unter falschem Namen einen Facebook-Account eröffnet". In einem Text, der sonst vor Vertrauens- und Aufrichtigkeitspathos nur so strotzt, befremdet ein derart problemunbewusstes Bekenntnis zur Lüge ungemein. Es wundert nicht, dass auf solchem Unterfangen, an dessen Anfang alternative Fakten geschaffen wurden, kein Segen liegen konnte: "Obwohl ich selbst nichts aktiv gepostet habe, erhielt ich alle möglichen 'Messages' und dazu ständig Freundschaftsangebote." 

"Ich habe diesen Spuk jetzt ganz und gar beendet", versichert sie. Es fällt nicht schwer, sich eine Predigt vorzustellen, in der sie abschließend deklamiert: "Nichts ist gut bei diesem Facebook", oder eine sozialmedial averse Zeitzeichen-Leserin, die bei der Lektüre erleichtert aufatmet, mit der flachen Hand auf den Wohnzimmertisch schlägt und verkündet: "Endlich! Die Margot Käßmann hat das Internet ausgemacht!" Ich habe gerade nachgeguckt, sie hat es nicht getan, sondern anscheinend nur ihr Fake-Profil gelöscht - richtig so, "die Wahrheit wird euch freimachen", hat Martin Luther schon gesagt. Oder sonstwer. "Inmitten des enormen Mitteilungsbedürfnisses ist für Vertraulichkeit offenbar kein Platz mehr", so lautet ihre abschließende Einschätzung. 

"Offenbar" ist das Stichwort. Als Adverb gebraucht, bedeutet es laut Duden "dem Anschein nach" - es bleibt also, allem investigativen Wallraffen zum Trotz, bloße Unterstellung. Und "offenbar" ist mit "Vertraulichkeit" (die, wieder laut Duden, ja auch ein "aufdringliches, nicht genügend distanziertes Verhalten" meinen kann) ohnehin nicht ganz ohne Probleme zu vereinbaren. Natürlich gibt es Vertraulichkeit auch bei Facebook, sogar, seit dringend notwendige und überfällige Verschlüsselungstechniken implementiert wurden, in einem einigermaßen geschützten Raum. Nur eröffnen sich eben solche Räume im Messenger, sie "offenbaren" sich nicht auf der Timeline - dort gehören sie in der Tat nicht hin. Von professionellen Seelsorger_innen kann man erwarten, dass sie hier vorbildlich posten und etwa auf solche ungewollten Durchbrüche des Privaten ins Öffentliche hinweisen. 

Ein Artikel, in dem es um Seelsorge geht und damit, nach einem pastoraltheologischen Lehrbuch von 1850, um das "mühsamste, aber auch das edelste und wichtigste", das Pfarrer_innen aufgetragen ist, hat solche wohlfeile und selbstgerechte Polemik nicht nötig. Das Gute, das auch in dieser Kolumne steht, geht unter im reaktionären Geraune über das böse Internet und die wilden, kulturlosen Eingeborenen, die dieses unheimliche Neuland bevölkern. Schade.